
AGILE VS. KLASSISCHE PRODUKTENTWICKLUNG – WELCHE METHODE SOLLTE ICH FÜR DIE UMSETZUNG MEINER PRODUKTIDEE ANWENDEN?
Die Fachwelt spricht von agiler Produktentwicklung. Aber was bedeutet das eigentlich und was sind die Unterschiede zur klassischen, linearen Methode? Und die spannendste Frage lautet: wann wende ich welche Methode zielführend an? Wir gehen der Fragestellungen nach und zeigen, wie die einzelnen Vorgehensweisen mit unserer Methode des Innovative Thinking WS ihre Stärken ausspielen.
1. Das Wunder des agilen Projektmanagements
Der Inbegriff für agiles Projektmanagement ist mit hoher Wahrscheinlichkeit SCRUM. Diese Methode stammt aus der Softwareentwicklung und hat ihre Berühmtheit unter anderem über die simultane Einflussnahme der Stakeholder (Anspruchsberechtigten) während des gesamten Produktentwicklungsprozesses erlangt. Sie haben ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis des Prozesses oder des Projektes.
Das agile Arbeiten erfolgt in iterativen Entwicklungszyklen, in denen vor allem auch der Endnutzer involviert ist. Geliefert werden funktionsfähige Teile des fertigen Produkts, die dem Endnutzer zum Testen vorgelegt werden können. So erhält das interdisziplinäre Entwicklungsteam schon während der Entwicklung von Produktinnovationen wichtiges Feedback aus dem Markt.
Ähnlich wie die Projektmethode SCRUM ist auch Design Thinking in der Produktentwicklung eine effektive Vorgehensweise, um schnell eine Produktidee umzusetzen. Hier wird der Fokus noch verstärkter auf den Endnutzer gelegt, indem seine Bedürfnisse intensiv mit Interviews oder Beobachtungsstudien ermittelt werden. Auch hier erfolgt die Entwicklung durch ständige, regelmäßige und flexible Wiederholungen. Das Ziel ist es, in kürzester Zeit einen Prototyp herzustellen, auch wenn dieser in seiner ersten Generation nur aus einem Pappmodell besteht. Je nach Reifegrad kann auch ein virtueller Prototyp zu den erforderten Erkenntnissen führen (vgl. Definition virtueller Prototyp à Blogartikel Vonstein und Partner)
Das agile Arbeiten (siehe Bild 1) ist in der heutigen schnelllebigen und vernetzten Welt die richtige Antwort, um die umfassenden, dynamischen Prozesse in der Produktentwicklung abzubilden.

Bild 1
2. Das Manifest des klassischen Projektmanagements
Häufig stoßen die agilen Projekte jedoch nach wie vor an ihre Grenzen, nämlich sobald ein Produkt für die Nullserienfertigung vorbereitet wird oder externe, lineare Abhängigkeiten entstehen. Das Erstellen von Werkzeugen, Montagelinien etc. erfordert meist eine gute und durchdachte Planung. An dieser Stelle sind meist die klassischen Vorgehensweisen nach der Wasserfallmethode von Vorteil. Sie ist zwar starr, bietet aber auch eine hohe Planungssicherheit. Grundvoraussetzung ist ein fundiertes Wissen über die zu erledigenden Aufgaben bzw. den Umfang. Das heißt, die Anforderungen sind fixiert und nicht variabel. In Bezug auf die Produktentwicklung sind die Anforderungen der Endnutzer durch das Produktmanagement festgelegt.
Diese Strategie der Produktentwicklung zeichnet sich durch ein statisches, lineares und stabiles Umfeld aus. Die Aufgaben, deren zeitlicher Umfang und die notwendigen Ressourcen werden definiert, geplant und linear abgearbeitet (siehe Bild 2). Die Fertigung und Herstellung eines realen Prototyps ist mit der klassischen Methode hocheffizient, da die Aufgaben, Anforderungen und der Umfang bekannt sind. Wie bei einem Wasserfall werden sie von oben nach unten abgearbeitet und am Ende des Durchlaufs entspricht das Ergebnis im besten Fall dem zuvor Geplanten. Die klassische Vorgehensweise ist vor allem dann effizient, wenn Projektaufgaben, Produktaufträge oder die Prozessschritte zum größten Teil bekannt sind. Dann können die Meilensteine klar und deutlich aufeinander getaktet und abgestimmt werden.

Bild 2
3. Einflussfaktoren, die die Wahl agiler oder klassischer Produktentwicklung bestimmen
Welche Methode sollte nun bevorzugt angewendet werden? Eine wichtige Entscheidungsgrundlage ist die Art des Projektes. Anders ausgedrückt sind die Komplexität und die Kompliziertheit einer innovativen Produktentwicklung wesentliche Faktoren. Die Kompliziertheit ist bestimmt durch beherrschbare und bekannte Faktoren. Bei einer komplexen Problemstellung sind die Faktoren unbekannt und die Beherrschbarkeit eingeschränkt. Startet das Projekt auf der grünen Wiese und die eigentliche Aufgabe ist bestimmt durch hohe unbekannte Faktoren, so ist ein agiles Projektmanagement von Vorteil. Ist die Zielvorstellung klar definiert und sind ein Großteil der zu erwartenden Aufgaben und Zwischenergebnisse bekannt, so ist die klassische Vorgehensweise vorzuziehen.
Auch wenn sich so schon manches eingrenzen lässt, ganz so einfach ist die Beantwortung der Frage nach der richtigen Wahl der Vorgehensweise nicht. Das Projektumfeld und die äußeren Gegebenheiten sind ebenfalls von Bedeutung. Dazu gehören vor allem der Markt und das Unternehmensumfeld.
Der Markt im Bereich der Entwicklung von Konsumgütern ist mittlerweile durch eine hohe Variabilität geprägt. Die Anforderungen ändern sich ständig, da durch die zunehmende Vernetzung in kurzen Entwicklungszyklen immer wieder neue Technologien und dadurch veränderte Anforderungen entstehen. Um die sich ständig ändernden Anforderungen zu integrieren, sollten sie im Entwicklungsprozess immer wieder abgefragt werden. Und das geschieht bei der agilen Produktentwicklung innerhalb der Sprints, bei dem ein fertiges, nutzbares und potenziell auslieferbares Produktinkrement erstellt wird.
Auch das Unternehmensumfeld müssen wir in unsere Überlegungen mit einbringen. Sind die Strukturen und Prozesse im Unternehmen statisch, so wird ein Projekt nach der klassischen Wasserfallmethode von Vorteil sein. Ein agiles Projekt in einem klassischen Unternehmensumfeld zu bearbeiten, führt häufig zu einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis. Die für die agile Produktentwicklung so wichtige Flexibilität wird durch die statischen Rahmenbedingungen im Unternehmen ausgebremst. Die hier und im folgenden Abschnitt erläuterten Faktoren (siehe Bild 3) sind für die Wahl der richtigen Vorgehensweise wesentlich, aber sicherlich nicht die einzigen Faktoren.

Bild 3
4. Der Erfolgsfaktor des richtigen Mindsets im Team
Neben der Komplexität der Entwicklungsaufgabe, der Unternehmensstruktur und dem Marktumfeld ist auch das Mindset der Teammitglieder in Bezug auf das richtige Setting im Innovationsprojekt von großer Bedeutung. Wie in anderen Lebenssituationen auch, ist es wichtig, dass jeder MitarbeiterIn von einer Sache überzeugt ist. Denn nur so kann das volle Potenzial ausgeschöpft werden. Genauso verhält es sich mit dem korrekten Einsatz der Entwicklungsmethode. Hat bspw. ein Teammitglied die Vorteile der agilen Arbeitsmethode noch nicht erkannt und ist auch generell nicht bereit, neue Herangehensweisen auszuprobieren, so steigt der psychologische Widerstand [W]. Eine vereinfachte Formel kann diesen Sachverhalt darstellen:

Das bedeutet also, dass bei dem Einsatz agiler oder klassischer Projektmanagement Methoden das Mindset der Teammitglieder einen hohen Stellenwert auf den Erfolg oder Misserfolg des Innovationsprojekts hat. Das agile Arbeiten wird scheitern, wenn im Team hohe psychologische Widerstände gegenüber dieser Herangehensweise bestehen. Natürlich lässt sich dieser reduzieren, indem der persönliche Nutzen [pN] gegenüber dem Veränderungsaufwand [V] steigt. In den meisten Fällen ist heute eher das agile Arbeiten die Herangehensweise, die neu im Unternehmen integriert wird. Also ist wichtig, dass der persönliche Nutzen bei allen Teammitgliedern herausgearbeitet und überzeugend dargestellt werden. Im Idealfall sind die Teammitglieder sogar schon mit agiler Produktentwicklung vertraut, sodass der Veränderungsaufwand gering ist. Das spart viel Überzeugungsaufwand und führt zu einer deutlich schnelleren Erfolgsquote der Projekte.
Das Gleiche gilt natürlich, wenn ein Teammitglieder mit jahrelanger Tätigkeit im agilen Projektumfeld auf einmal nach klassischen Vorgehensweisen arbeiten muss. Dieser Sachverhalt muss bei der Wahl der agilen oder klassischen Entwicklungsmethode unbedingt beachtet werden, da das Team mit dem inkorrekten Mindset deutliche Performanceverluste haben wird.
5. Die richtige Wahl der Entwicklungsmethode
Bei der Entwicklung eines innovativen Produktes fällt die Wahl häufig auf eine agile Methode. Hier ist in der Regel eine komplexe Projektaufgabe gepaart mit variablen Marktanforderungen die Basis. Wenn die Unternehmenskultur statisch aufgebaut ist, können agile Taskforce-Teams mit externen Experten Abhilfe schaffen. Der größte Erfolg stellt sich ein, wenn diese Teams dann entkoppelt vom Tagesgeschäft und von statischen Prozessen agieren. Auch das Mindset dieses Teams muss passen. Überzeugungsarbeit, Widerstände innerhalb des Teams und dadurch entstehende Performanceverluste lassen sich so minimieren.
Dennoch ist eine Hybridlösung aus agilen und klassischen Elementen eine sinnvolle Herangehensweise bei der Entwicklung neuer innovativer Produkte. Häufig gibt es Projektphasen und Aufgaben im Projekt, bei denen die agile Arbeit an ihre Grenzen stößt. Das ist meistens dann der Fall, wenn das Projekt so weit fortgeschritten ist, dass sich die Aufgabe von einem komplexen zu einem komplizierten Projekt gewandelt hat. Genau an diesem Punkt ist es sinnvoll, auf die klassische Entwicklungsmethode zu wechseln. Das kann der Zeitpunkt sein, wenn die technischen Produktkonzepte bereits so durchdacht sind und der Markt ein fundiertes positives Feedback geliefert hat, dass nur noch die Produktidee umgesetzt werden muss.
Die Methode „Innovative Thinking WS“ liefert eine solche Hybridlösung innerhalb der innovativen Produktentwicklung. Sie startet mit einem statischen Durchlauf der ersten Projektphasen, in dem vorab die Rahmenbedingungen und die Innovationsbasis erarbeitet werden. Nach der Vorbereitung wechselt das Projekt dann (je nach Komplexität der Entwicklungsaufgabe) in eine agile Struktur, in der das Produktkonzept durch funktionsfähige Teile eines fertigen Produktes und das Herstellen von Prototypen auf einen sehr hohen Reifegrad gebracht wird. Sobald dieser Reifegrad erreicht ist und das Produkt in der Nullserie produziert werden kann, ist die klassische, statische Methode vorzuziehen. In dieser Phase wird die Nullserie auf Basis bekannter Faktoren geplant und vorbereitet. Das innovative Produkt kann nun ein ganzheitliches Nutzererlebnis und die damit verbundenen positiven Emotionen liefern.